Es muss 2011 oder 2012 gewesen sein, an einem späten Abend gegen 22:00. Das Telefon klingelte. Ich nahm das Gespräch an, es meldete sich ein – der Stimme nach – älterer Mann.

Er nannte seinen Namen und fragte: „Führen Sie Besorgungsfahrten durch? Ich beziehe Pflegegeld der Stufe III, die Fahrten werden bezahlt.“
Ich wunderte mich zwar über die Anfrage um diese Uhrzeit, aber ich bejahte und wollte wissen, ob es sich um Einkaufsfahrten handelte.
„Ja.“ Er schien zufrieden. „Sehr gut, sehr gut“, murmelte er.
Nach einer kurzen Pause meinte er: „Den ersten Auftrag habe ich heute schon.“
Ich war überrascht. „Wann? Heute? Jetzt noch?“
„Ja, jetzt dann einmal, in einer halben Stunde oder so. Ich liege im Krankenhaus, Lungenabteilung, Zimmer 302. Bringen Sie mir doch eine von der Straße.“

Ich glaubte, mich verhört zu haben. „Wie bitte??“
„Ja, ein Mädchen“, forderte er.
Ich lachte; bestimmt erlaubte er sich einen Scherz. „Ja, gut, aber jetzt sagen Sie mir bitte, was Sie wirklich wollen.“
„Sie haben schon richtig verstanden, ein Mädchen.“
„Um einem Missverständnis vorzubeugen: Sie wollen, dass ich Ihnen ein Mädchen von der Straße ins Krankenhaus bringe?“
„Naja, von der Straße muss sie ja nicht sein …“
„???“
„Ihr Taxler habt doch eh die Kontakte, bringen Sie mir einfach eine, ich hab’ alles vorbereitet.“
„Was vorbereitet? Und überhaupt – wissen, Sie, wie spät es ist? Sie dürfen doch gar keinen Besuch mehr empfangen!“
„Doch, doch“, behauptete er, „ich gebe sie als meine Cousine aus. Ich habe die Hälfte meines Abendessens übrig gelassen, und sie kommt, um mich zu füttern. Sie darf halt nicht wie eine Hure aussehen, weil sie doch meine Cousine sein soll.“

Das kann nicht sein, dachte ich, wer verschaukelt mich da? Ein Kunde? Ein Bekannter? Nein, die Stimme war mir unbekannt.
„Warten Sie ein paar Minuten, ich rufe Sie zurück“, sagte ich ihm.
Ich rief Gregor, meinen Freund, an und fragte ihn, wer mich da verschaukelt haben könnte, aber auch ihm fiel niemand ein. Von meinen Eltern wollte ich ebenfalls wissen, ob sich vielleicht jemand aus ihrem Freundeskreis einen Scherz erlaubt haben könnte. Meine Mutter meinte zweifelnd: „Vielleicht hat dich der Ö3-Callboy erwischt?“
Ich atmete ein paar Mal tief durch und wählte die Nummer des Anrufers, die im Display meines Mobiltelefons angezeigt worden war.

Sogleich meldete er sich und fragte: „Haben Sie eine gefunden für mich?“
„Nein“, entgegnete ich, „den Auftrag kann ich nicht annehmen.“
„Aber warum nicht? Sie müssen die eh nicht bezahlen, das mache doch ich.“
Das wurde ja immer schöner!
„Das ist eine ganz normale Fahrt“, maulte er, „Sie kriegen schon Ihr Geld.“
„Weder das Mädchen noch ich kämen um diese Zeit in das Gebäude. Also nein.“
„Warum nicht?“ Er ließ nicht locker.
„Weil es um diese Uhrzeit nicht klappt.“ Ich wünschte ihm eine gute Nacht und legte auf.

Die Sache ließ mir keine Ruhe. Am nächsten Tag rief ich im Krankenhaus in der Lungenabteilung an, stellte mich vor und nannte der netten Stationsschwester Namen und Zimmernummer des Anrufers, nicht jedoch den Grund – Diskretion musste sein.
Sie sagte sogleich: „Dem dürfen Sie aber kein Taxi schicken, der darf noch nicht heim!“
Ich erzählte ihr von dem nächtlichen Anruf mit einer eigenartigen Taxibestellung und dass ich nur herausfinden wollte, ob der Herr wirklich Patient auf der Lungenabteilung sei oder ob sich jemand einen Scherz erlaubt hätte.
„Ja, der Patient ist hier. Und da bleibt er auch“, meinte sie bestimmt, „das war sicher ein Missverständnis.“
„So wird es wohl gewesen sein“, entgegnete ich, „vielleicht ist er etwas verwirrt, wollte einfach nur nach Hause und hat sich deswegen ein Taxi bestellt.“