… steckte ich im Endspurt der Vorbereitungen für die Taxilenkerprüfung. Ich hatte wochenlang gelernt, war immer mit Stadtplan und Straßenbuch unterwegs, prägte mir die Straßennamen, Hotels, Restaurants, Konsulate, Apotheken und viele weitere wichtige Punkte ein. Kaum hörte oder las ich einen Straßennamen, schaltete sich mein inneres Navigationsgerät ein und lotste mich gedanklich durch die Straßen. Mein Freund Gregor, Taxiunternehmer und nicht unschuldig an meiner Taxikarriere, fuhr mit mir kurze und lange Strecken ab, kreuz und quer durch die Stadt und darüber hinaus. Trafen wir uns zum Essen oder auf einen Kaffee, wählte er etwas abgelegene oder mir unbekannte Lokale aus. Fragte ich ihn nach dem Weg, antwortete er lachend: „Das musst du selber herausfinden.“ Ich fand es heraus; damals noch ohne Navi. Nicht nur, weil man mich mit gutem Essen locken kann, sondern weil ich unbedingt diesen Taxischein haben wollte!

Dann war er da, der Tag. Ich war so nervös! Alle Kandidaten, die vor mir dran waren, verließen den Raum mit langen Gesichtern. Die Prüfung war auf vier verschiedene Fachgebiete aufgeteilt; der oder die Nächste hatte sich zuerst den Fragen unseres als besonders streng bekannten Fachgruppengeschäftsführers zu stellen. Vier oder fünf Männer, die vor mir in der Reihe standen, wichen zurück und sagten: „Bei dem fange ich nicht an!“

„Ich geh’ rein“, sagte ich forsch. Ob ich ihn als ersten oder letzten Prüfer hatte, war doch egal. Tja, und was soll ich sagen? Die erste Frage ging gleich ordentlich daneben! Das süffisante Grinsen und die herablassende Art legte er jedoch ab, als ich die weiteren Fragen fehlerfrei beantwortete. Zweite Station: Ortskunde. Ich war so gut vorbereitet, es lief alles wie am Schnürchen. Der Fachgruppengeschäftsführer, der gerade keinen Prüfling vor sich hatte, hörte zu und nickte einige Male anerkennend. Dritte und vierte Station gingen ebenfalls glatt. Und ich durfte als erste Kandidatin das Prüfungszimmer freudestrahlend verlassen!

Als ich dann meinen Freund anrief, sagte ich:
„Ich bin durchgefallen.“
„Du nicht“, antwortete er, „du hast den Schein!“

Und den habe ich nun seit dem 10. Mai 1994, also seit 30 Jahren! Mein Beruf macht mir nach wie vor Freude. Und Gregor bin ich heute noch dankbar, dass er sich damals so viel Zeit für die Prüfungsvorbereitung genommen hat – und mich so manches Mal auf mir unbekannten Wegen durch die Stadt gejagt hat …