Ein regentrüber Herbsttag war dieser 23. September 2016. Ich wartete am Standplatz beim Salzburger Landeskrankenhaus auf Fahrgäste, als eine ältere Dame auf mein Taxi zusteuerte. Bevor ich aussteigen und ihr behilflich sein konnte, hatte sie schon die Tür zum Wagenfond geöffnet und Platz genommen. Sie nannte ihr Fahrziel. „Die Frau kenne ich“, schoss es mir durch den Kopf, als sich unsere Blicke im Rückspiegel trafen. Nach wenigen Sätzen unserer angeregten Unterhaltung war ich mir sicher: Frau Dr. P., meine erste Englisch-Professorin aus dem Gymnasium, saß in meinem Taxi! Ich sprach sie darauf an und war verblüfft, wie gut sie sich nach dieser langen Zeit an mich und an die Namen meiner Klassenkameradinnen erinnern konnte. Immerhin war es in den 1970er Jahren, dass sie uns – damals ob ihrer Strenge gefürchtet – unterrichtete.

Am Ende unserer Fahrt bat sie mich um meine Visitenkarte. Tatsächlich rief sie mich jedes Mal an, wenn sie ein Taxi benötigte. Die meisten Fahrten führten zum Krankenhaus; sie hatte Krebs. In den beiden folgenden Sommern buchte sie mich auch mehrmals für Festspieltransfers. Immer elegant gekleidet und chic zurechtgemacht, sah man ihr die Krankheit nicht an. Ich mochte die interessanten Gespräche mit ihr, die sich weniger um die Schulzeit als vor allem um Kultur und Reisen drehten. Milde und weich war sie geworden, die strenge Professorin von damals war verschwunden.

Ende August 2018 rief ich sie an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Sie war erstaunt, dass ich das Datum wusste, aber da ihr Geburtstag nur drei Tage nach meinem lag, war er wohl in meinem Unterbewusstsein gespeichert. Sie freute sich sehr und bedankte sich überschwänglich, ich war richtiggehend gerührt. Damals konnte ich nicht ahnen, dass es unser letztes Gespräch gewesen sein sollte. Einige Zeit später las ich ihren Namen bei den Todesanzeigen in der Tageszeitung; 75 war sie, als sie diese Welt verließ.

Ich denke oft an Frau Dr. P. und an das überraschende Wiedersehen in meinem Taxi.